Leseprobe aus „Fünf Bagatellen über eine Verführung”
Ein kleiner Einblick in das Buch:
27. März 2014
Ed,während ich dies tippe, sitze ich im Café Kompass und warte mit Dennis Kaltenbroich auf einen gewissen Ruben Lukas, der White Widow Samen verkauft. Angeblich direkt aus Holland, angeblich zimmertauglich. Dennis spielt die ganze Zeit Plague Inc., Brutalstufe, wobei er ab und an zufrieden aufstöhnt. Ich schaue durch den Raum. Es bedienen zwei Frauen, eine junge und eine ältere. Beide in Rock und Bluse. Die junge ist schlank, hochgewachsen, mit Waden wie ein Kerl. Die ältere einiges über dreißig, feines Gesicht, schmal, die Brüste feste muntere Tennisbälle. Ich versuche, mir die Frau nackt vorzustellen (Pubertät ist echt ne Scheißzeit, Ed. Oder sind wir schon drüber weg?), und als es mir eben gelingen will, kommt Dennis mit seinen Grunz- und Jauchzerlauten dazwischen. Wenn ich das richtig verstanden habe, hat er gerade Zentraleuropa verseucht. Der Typ ist echt krank. Um die ältere Frau näher heranzulocken, bestelle ich bei ihr einen Milchkaffee. Es ist schon mein zweites Getränk hier. Das erste war ein alkoholfreies Bier. Am Nebentisch sitzen zwei Mädchen und trinken Limonade durch farbige Plastikhalme. Eine der beiden erinnert mich etwas an Lea van Acken, die in dem Film Kreuzweg die durchgeknallte Maria spielt: weiches Gesicht, dunkle Augen, lange braune Haare - aber im Grunde sehen ja heute tausende so aus. Die Mädchen streiten sich ein wenig darüber, ob man bei Rossmann oder dm günstiger einkauft. Lea ist für Rossmann, was die andere nicht so recht verstehen kann. Ich überlege, ob die beiden vielleicht lesbisch sind, komme aber zu keinem Ergebnis. Am Tisch gegenüber entrollt ein Mann im Studentenalter eine Zeitung. Die erste Seite mit der Schlagzeile über die Ukraine beachtet er nicht, sondern schlägt das Blattinnere auf. Was er liest, ob Aktienkurse, Lokales oder Sport, kann ich nicht erkennen. Ich blicke zur Uhr, sage zu Dennis, dass Ruben Lukas schon sechs Minuten über die Zeit sei, kriege jedoch nur ein Knurren zur Antwort. Mein Milchkaffee wird gebracht, allerdings von der jungen Bedienung. Obwohl meine Enttäuschung beträchtlich ist, lasse ich sie mir nicht anmerken. Die Kellnerin kommt mit ihrem Oberkörper so dicht an mich ran, dass ich das Deo riechen kann. Allerdings interessiert es mich in diesem Fall nicht, und so achte ich nicht wirklich darauf. Es wird Fichtenduft sein oder sowas.
Gruß Julian
28. März 2014
Lieber Zach,
erklär mir das Genießen, und ich sag dir, ob ich genieße. Du stellst aber auch Fragen! Ja, ich verspüre jeden Augenblick, lasse ihn über meine Haut laufen und schmecke die Trauer dabei. Gern würde ich ihm seine Flüchtigkeit nehmen. Aber was bliebe dann noch von ihm! Warum kann man nicht aus der Zeit steigen wie aus einem Bus? Ständig schafft sie Friedhöfe. Jetzt verzieh nicht gleich das Gesicht, ich weiß schon, was du hören willst, du empfindsames Brüderchen. lar ist Fee etwas ganz Besonderes, Edles, etwas Gewaltiges in ihrer Zartheit, viel zu schade für mich. Habe ich es so richtig gesagt? Wenn ich gewisse Gefühle bei ihr geweckt habe, dann gewiss nicht absichtlich, und was meine eigenen angeht, die nun einmal da sind, so sind sie stark und ehrlich und ein wirkliches Lebenslicht. Du kennst mich und meine Anhänglichkeit. Was erzählt sie denn so von mir? Nein, ich will dich nicht aushorchen, vergiss die Frage. Ja, sie ist eine Prinzessin, die in einen Schmetterling verwandelt wurde. Ja, sie ist das Gold der Schönheit selbst wie das der Liebe. Ja, nie gab es Vollkommeneres. Machst du dir ernstlich Sorge um unsere Freundschaft, Zach? Fragst du deshalb all dies Zeug? Was bin ich froh, selbst keine Schwester zu haben! Das ist ja wie bergab radeln mit einer Palette Eier auf dem Gepäckträger. Dauernd musst du dich umgucken, ob noch alles heil ist und bei gackernder Gesundheit.
Ob mir das Abi die Stimmung verdirbt? Das fragst du nicht im Ernst. So wenig vertraust du dem Zauber deiner Schwester? Aber ohne Spaß, mein Gutester: Mit den Mathevorbereitungen bin ich durch, wie wahrscheinlich die Wahrscheinlichkeit ist, dass ich mit Nasenbluten zur Prüfung auflaufe, errechne ich dir bis auf fünf Stellen hinterm Komma, in Englisch sehe ich Land, auch dank der reizenden Hilfestellungen unserer Frau Weigang, die noch schnell ein paar Fragen zu The Graduate (Is this novel a bildungsroman?) rumgeschickt hat, und bei Deutsch weiß man ohnehin nie. Aber gerne gehe ich noch mal alles mit dir durch. Sag ehrlich, hältst du mich auch für einen Eigenbrötler? Einen Schleimer? Ich kenne das Gerede, und es macht mir etwas aus. Eine ganze Menge sogar. Es stimmt schon, dass mir die Gesellschaft Älterer oft nicht unlieb ist, aber das hat mit Sichtweisen zu tun, Gesprächen, mit Reichtümern, die einem das Leben verschafft. Ich sei halt ein durch die Umstände etwas hastig gereiftes Korn, behauptet LaMama. Aber dass ich meine Richtung gefunden hätte, kann ich nicht bestätigen. Da sind zu viele Strudel in meinem Blut, Zach. Vielleicht kennst du ja das Gefühl. Wir bleiben ewig Freunde. Versprochen?
Ach ja, Hölle, Pech&Schwefel, natürlich bleibt es bei dem Clubtreffen nächste Woche. So wichtig ist keine Prüfung, dass sie daran etwas zu ändern vermöchte.
Gruß Julian
28. März 2014
Ed, Ed, Ed, alter Sarotti-Mohr, hilf, wenn du kannst, ich weiß nun wirklich nicht mehr weiter. Das Weiblein Fee bedrängt mich, und Zach, mein ehrlich geliebter Zach, gibt den engsten Alliierten seiner kleinen Schwester, schießt laufend liebliche Kanonenkügelchen auf mich ab. Ob ich es denn ernst meinte (man sieht seine Grimasse hinter diesen harmlosen Worten), warum ich denn die Verabredungen ständig absagte, was das alles solle. Ed, Ed, Ed, liebster Freund, ich tauge nun einmal nicht für Dauerläufe zu zweit, jedenfalls nicht, wenn Nummer zwei weiblicher Natur ist! Alle Anmut einer Erscheinung ist für mich nur Anlass für die Frage, ob es irgendwo noch bezwingendere Anmut gibt. Alles Schöne kann doch nur eine Herausforderung sein, sie zu übertreffen. Das gilt für Natur und Kunst gleichermaßen. Wenn dir unsere Freundschaft etwas wert ist, so hilf!
Bin sehr gespannt auf deinen Marquis! Toddenrot hat sich neulich sehr abschätzig über Brecht geäußert, aber zu einem wirklichen Verdammungsurteil mochte er sich dann doch nicht verstehen. Er ist und bleibt ein Lauer. Auf eklige Weise vorsichtig. Damit verhindert er nun, dass Brecht im Club ein Thema sein könnte. Vielleicht auch ganz richtig so. Denn erschrecken kann man mit Brecht ja nun weißgott nicht. Bestenfalls langweilen.
Beeil dich mal mit deiner Antwort!
Julian
28. März 2014
Na schön, Julian, dann beeile ich mich mal. Recht geschieht dir, du arischer Windbeutel. Und du weißt doch: Irgendwann fährt Don Juan nieder zur Hölle. Da bist du also fröhlich auf dem Weg. Schick ne SMS, wenn du da bist, aber mit Foto. Mich interessieren die Folterwerkzeuge. Ich stelle sie mir etwa so vor wie beim Balkan Grill. Rotierende Sünder dann statt Hähnchen. Verzeih, dass mir bei der Vorstellung das Wasser im Mund zusammenläuft. Ich hätte dann gerne ein Stück Herrenmenschenbrüstchen.
Mein Marquis steht. Aber wahrscheinlich wirst du ihm ja nun eher begegnen, drunten bei Teufels. Vielleicht bekommt er Ausgang für Freitag, dann könnten wir ihn mal einvernehmen. Aber im Ernst, du Dosenöffner – was ist so schwer an einem schlichten Das wars mit uns?
Hast du die Sache mit der Osmose verstanden? Warum habe ich auch Bio als Prüfungsfach gewählt!
Wenns ganz schlimm wird mit der Hölle, lass uns mal Eis essen gehen. Rewe zahlt zwar nicht viel fürs Stapeln, aber dafür reichts bei mir gerade noch.
Was sagst du zum HSV? Lustig, oder?
28. März 2014
Liebe Fee,
danke für die hübschen Fotos. Ich finde dich sehr gut getroffen, kein bisschen dick (wie kommst du überhaupt darauf?? Jeder Bleistiftstrich ist gegen deine Figur ein Geigenkasten), und dass ich „süß“ aussehe, darf auch niemand außer dir sagen. Nächstens mehr!
In Liebe Dein Jay